DER HARZ – NÄHRBODEN FÜR DIE PHANTASIE
Eine schöne Regel besagt, dass es kein schlechtes Wetter, höchstens falsche Kleidung gäbe. Wer sich für den Brocken rüstet, ist jedenfalls gut beraten, einen Pullover und eine Regenhaut mitzunehmen. Denn droben ist es kühl, und den mit seinen 1142 Metern höchsten Berg des Harzes einen Regenfänger zu nennen ist nicht ungerecht.
Wie sich das auswirkt, davon könnte der Autor ein Lied singen. Das will er aber lassen und lieber versichern, dass so ein bisschen Regen das Erlebnis einer Brockenwanderung allenfalls vorübergehend trübt. Denn desto netter sitzt es sich hernach beim Brockenwirt, und wenn man erlebt, in welch geradezu unverschämtem Grün Buchen, Fichten und Farne nach dem Regen förmlich dampfen, ist man längst wieder versöhnt.
Ausgangspunkt unserer Brockenwanderung ist Ilsenburg, zwischen Wernigerode und Bad Harzburg gelegen. Seinen Namen hat Ilsenburg von der «Elysinaburg», was «Burg bei den Erlen» meint. Schöner ist natürlich die Version, wonach der Name auf eine ebenso sagenhafte wie bezaubernde Prinzessin Ilse zurückgehe.
Auf den Namen Ilse hört auch das Flüsschen, mit dessen munterem Wesen wir während unserer dreistündigen Wanderung Bekanntschaft schließen. Die nach einem berühmten Vorgänger «Heinrich-Heine-Wanderweg» geheißene Route führt nämlich durch das romantische Ilsetal. Hier findet man geheimnisvolle Orte: die Kaskaden der Ilse, den Hexentanzplatz und die Teufelsmauer. Der Weg auf den Brocken, nach seinem berühmtesten Wanderer Heinrich Heine benannt, führt an der früheren DDR-Grenze entlang.
In die Spur begeben wir uns nahe der heute als Hotel geführten Anlage der «Elysinaburg», die eine bewegte, tausendjährige Geschichte hat. Erbaut als kaiserliche Jagdpfalz, wurde sie zu einem – im Bauernkrieg verwüsteten – Kloster umgestaltet, diente später dem Grafen zu Stolberg-Wernigerode als Wohnung und noch später der Stasi als Quartier. Die Klosterkirche lässt von einstiger Pracht noch etwas ahnen.
Schwerer fällt es, sich aufgrund der spärlichen Mauerreste jene Burg vorzustellen, die einst auf dem Ilsestein stand. Dafür bietet der Felsen einen vorzüglichen Blick auf den von ferne grüßenden Brocken.
Der Harz, dessen Name von «hart» kommt, was soviel bedeutet wie «bewaldetes Gebirge», hat seit je die Phantasie angeregt und allerlei sagenhafte Gestalten auf Bergen, in Wäldern und an Mooren angesiedelt.
Unerlöste Prinzessinnen, Mönche und Wilde Männer sind auch andernorts geläufig. Konkurrenzlos hoch ist aber die Zahl der Hexen und Teufel im Harz. Wobei die Exemplare auf Likörflaschen und auf den Plakaten des Fremdenverkehrsverbandes nicht einmal mitgerechnet sind.
Hexenbrunnen und Teufelskanzel, Hexenwaschbecken und Teufelsbrücke, Hexenaltar und Teufelsmauer und wie die Örtlichkeiten alle heißen, sprechen eine deutliche Sprache. In der Teufelsmauer sitzt der Höllenfürst übrigens persönlich. Er fuhr einst wutentbrannt und stehenden Pferdefußes in sie hinein, weil er es nicht geschafft hatte, die Mauer bis zum Himmel aufzuschichten.
Namentlich auf dem Brocken – manche sagen «Blocksberg» – fühlt sich die Mischpoke pudel, um nicht zu sagen sauwohl. In der Nacht zum 1. Mai schwirrt sie heran, um Rechenschaft über das abgelaufene Hexenjahr abzulegen. Was da im Busche war, war freilich nicht neu. Der Leipziger Johannes Prätorius etwa berichtet anno 1668 von «Hexenfahrt und Zauber-Sabobath», wobei «die Unholden aus gantz Teutschland» mit von der Partie seien.
Der Ilsenstein diente schon den Damen und Herren Hexen und Satanen als Wegmarke, wenn sie in der Walpurgisnacht den Brocken ansteuerten, um ihrer Jahresversammlung beizuwohnen. «Welchen Weg kommst du her?» fragt in Goethes «Faust» eines dieser Geschöpfe die Kollegin – «Übern Ilsenstein!»
Normal Sterbliche freilich müssen wieder herunterklettern von dem Felsen und sich an den Weg die Ilse entlang halten, die solche Anhänglichkeit mit kaskadenhaft sprudelnden Wasserspielen belohnt.
Dennoch heißt es irgendwann, das Flüsschen fließen zu lassen und den Weg linkerhand bergan einzuschlagen. Hier empfangen den Wanderer bald traurige Überbleibsel jener Zeit, da das Brockenplateau komplett von einer Mauer eingeschlossen war. Geblieben sind die Betonplatten im Waldboden, auf denen einst die Wachtrupps der NVA patrouillierten. Das Brockenplateau soll ab Herbst wieder der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Einst galt der Harz vielmehr als ausgesprochen unwirtlich. Der Brocken, heißt es etwa im Jahre 1648, «ist wegen seiner grausamen Höhe und Größe weit beschryen». Einen besseren Ruf erhielt er, nachdem Ende des 18. Jahrhunderts romantische Künstler die Felsen und Schluchten, uralten Bäume und malerischen Ruinen der Gegend als besonders einladend empfanden und empfahlen.
Als die Eisenbahn das Gebiet in den 1840er Jahren zügig erschlossen hatte, gab es für Neugierige kein Halten mehr. Schon anno 1900 brachte die erst zwei Jahre zuvor eröffnete Brockenbahn 51000 Besucher nach oben. Seit 1901 können zumindest die Hexen im Einzugsbereich der Brockenbahn den Besen stehen lassen. Seither fahren zu Walpurgis Sonderzüge zum Ort des Geschehens. Zum «Brockentarif».
Heute gehen Schätzungen von mehr als zwei Millionen Brockenbesuchern im Jahr aus. Viele kommen mit der Dampflok, viele zu Fuß. Das tut der Flora und Fauna im ehemaligen Sperrgebiet nicht unbedingt gut. Der noch vor der Wende geschaffene «Nationalpark Hochharz» soll bald mit dem auf niedersächsischer Seite gelegenen «Nationalpark Harz» vereint werden, um der Natur so auf einem 21000 Hektar großen Gebiet auch im Zeitalter des Massentourismus eine Chance zu geben.
Inwieweit diese Chance Realität wird, hängt auch von der Vernunft der Brockenbesucher ab. Ein mustergültiges Verhalten darf in dieser Hinsicht dem mittlerweile pensionierten Briefträger Riemenschneider aus Schierke bescheinigt werden, der den Berg im Lauf seiner 30 Dienstjahre nicht weniger als 4700mal genommen hat. Es ist nicht bekannt geworden, dass er dabei auch nur ein einziges Mal vom vorgeschriebenen Weg abgewichen wäre.
Дата добавления: 2015-06-17; просмотров: 1252;